Notzingen

Notzingen und sein rechtes Erbe

(olf) Die AFD bucht für eine nicht öffentliche Nominierungsveranstaltung für die Kreistagswahl unsere Gemeindehalle und unser Bürgermeister besucht diese Veranstaltung privat als sog. Vertreter der Ortspolizeibehörde. Er wird dann nach vorn gebeten und hat nach seinen Angaben „kein Grußwort“ gesprochen, sondern nur die Gemeinde vorgestellt. Ja, wir dachten, dass unser Bürgermeister aus den Vorkommnissen seiner völlig danebengegangenen Kandidatur um die OB-Wahl in Vaihingen Enz etwas gelernt hat. So wie es scheint wenig. Immer wieder begibt es sich in Situationen, mit denen man strukturell mit Rücksicht auf sein Amt anders umgehen sollte. Oder aber, die Nähe zur AFD ist da? Immerhin munkelt man im Ort, dass der Vater des Bürgermeisters bei den Republikanern wäre. Zudem soll der persönliche Berater des Bürgermeisters der langjährige Vorsitzender der Republikaner in Baden-Württemberg, Ulrich Deuschle sein, ortsansässig und jetzt bei der AFD.

Das Verhalten eines Bürgermeisters ist eine Seite der Medaille, das andere die geschichtliche Einordnung. Warum findet die Nominierungsveranstaltung der AFD ausgerechnet in Notzingen statt. Sind da die rechten Netzwerke immer noch besonders stark?


Zur geschichtlichen Einordnung sind zwei Dinge wichtig:

  • In der Zeit des Nationalsozialismus war Notzingen Hochburg der von den Nazis gegründeten Alternativ- Reichskirche „Deutsche Christen“. Alle Gemeinden im Kirchenbezirk untersagten die Benutzung kirchlicher Räume – nur Notzingen nicht. Reichsbischof Müller predigte hier. Der Großteil der Bevölkerung von Notzingen war in der Nazireichskirche organisiert. Der Kirchenhistoriker Rainer Lächele schreibt: „Die Voraussetzungen für eine rege Tätigkeit der Deutschen Christen war dort außergewöhnlich günstig. Zudem sympathisierten der Bürgermeister, wie auch der stellvertretende Ortsgruppenleiter offen mit den Deutschen Christen.“[1] Auch war Notzingen die einzige Gemeinde, die einen Chor der Nazikirche aufbieten konnte. Erst der Kirchenkampf eines Vikars der bekennenden Kirche mit seiner späteren Ehefrau, der Religionslehrerin Irmgard Gräter und dem aufrechten Sozialdemokraten Gottlieb Barz führten zum Ende des Nazipfarrers.
  • 1991 wählte die Notzinger Evang. Kirche Jakob Tscharntke als ihren Pfarrer. Er wurde 1996 suspendiert und verließ anschließend die Landeskirche. Nach verschiedenen Stationen in den Freikirchen Seeheim/Jugenheim und Neuwied war bis 2023 in der Evangelische Freikirche Riedlingen. Dort stand er unter Beobachtung des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Anlass waren die extremistischen Positionen des Predigers Tscharntke, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Tscharntke vermische gezielt christlich-fundamentalistische Ansichten mit der Ablehnung von Demokratie und Staat. Während Corona sprach er von einem „totalen Impfkrieg“ und bezeichnete Politiker als „Unrecht- und Willkürherrschende“, die von satanischen Mächten hinter ihnen gesteuert würden.
    Die extremistischen Verschwörungsideologien Tscharntkes finden in Netz nach wie vor großen Zuspruch. Sein YouTube–Kanal verzeichnete im vergangenen Jahr nach Angaben der Stuttgarter Nachrichten 25.000 Abonnenten. 2023 hat Tscharnke nach internen Auseinandersetzungen in Riedlingen gekündigt. In Notzingen hat er noch viele Sympathisanten.

Was bleibt? Es passt in das Bild und in die Geschichte unserer Gemeinde, dass sich bis jetzt nicht der Bürgermeister und auch nicht der Gemeinderat von rechten Positionen abgrenzen. Es ist demnach nur richtig, wenn die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes eine Abgrenzung weiterhin fordern, analog dem Appell der Oberbürgermeister für demokratische Werte in unseren Städten und Gemeinden, gegen extremistisches Gedankengut. Für uns alle im Ort wäre wichtig, dass sich auch der Gemeinderat gegen rechte Extremisten positioniert.


[1] Lächele, Rainer: Ein Volk, ein Reich, ein Glaube, Die „Deutschen Christen“ in Württemberg 1925-1960,
Stuttgart, 1994, S. 150